Samstag, 29. August 2015

Sungs Laden von Karin Kalisa

http://www.chbeck.de/Kalisa-Sungs-Laden/productview.aspx?product=14946900
    Erscheinungsdatum: 18.08.2015
    Verlag: Beck 
    ISBN: 9783406681882
    Fester Einband: 256 Seiten

    Meine Bewertung: 5 von 5 Punkten 

Auf der Schulbühne steht eine kleine starke Frau, mit einer vietnamesichen Holzpuppe und spricht über vergangene Zeiten, die selbst verwöhnte Berliner Gören träumen läßt. Plötzlich werden die vietnamesischen Ladenverkäufer am Prenzlauer Berg von den Bewohnern wahrgenommen. Kegelhüte sind hipp und Holzpuppen der Rennner. Aber wer weiß schon, das alles mit ehemaligen Vertragsarbeitern der DDR anfing, die sich eine neue Existenz suchen mussten. Ein modernes Märchen, das hoffentlich keines bleibt.

Karin Kalisa hat mit ihrem Debüt eine wundervoll leicht daherkommende Geschichte geschrieben, die so viel Tiefgang bietet, wenn man es zuläßt. Dieses Buch liest sich wie eine kleine Melodie, der man einfach folgen muss. Man wird verzaubert und in eine andere Welt entführt.

Meine DDR-Kenntnisse sind eher mager und vietnamesische Vertragsarbeiter kenne ich nur aus Fernsehberichten. Um so mehr hat mich die Geschichte von Hiền berührt. Als DDR-Arbeiterin ist es ihr verboten gewesen, ein Kind zu haben und so bringt sie eine Tochter in Vietnam zur Welt, um sie gleich wieder verlassen zu müsen. Nach der Wende baut sie sich mit ihrem Mann einen Gemischtwarenladen am Prenzlauer Berg auf, der bald für die Bewohner nicht mehr wegzudenken ist. Doch Gedanken über die Ladenbesitzer macht man sich nicht. Es sind halt die Vietnamesen.

Erst durch den Auftritt von Enkel und Großmuter in der Grundschul-Aula geht eine Veränderung vor. Lehrer und Schüler sind von dem Auftritt begeistert und so beginnt eine leise Veränderung im Stadtteil. Lehrerinnen holen sich Tipps von Hiền, basteln Holzpuppen zusammen mit vietnamesischen Schreinern. Deutsche und Vietnamesen besuchen Sprachkurse, kommen ins Gespräch und plötzlich haben die Vietnamesen Namen und Geschichten. Die Geschichte der Holzpuppe Thủy spielt dabei eine zentrale Rolle. Ist sie anfangs noch versteckt unter einer Decke im Hinterzimmer, bekommt sie am Ende ihren großartigsten Auftritt.

Aber auch längst vergrabene Träume dürfen geträumt werden. Sung wäre lieber Archäologe geworden, betreibt aber den Laden seines Vaters weiter und hat sein Studium dafür aufgegeben. Seine Zerrissenheit während seiner Schulzeit wird lebendig geschildert. Optisch eindeutig nicht deutsch, doch sprachlich auch nicht vietnamesich, versucht er sich selbst zu finden. Doch erst das neue Bild seines Stadtteils läßt ihn seinen Weg gehen.

Durch den japanischen Fotografen Hideo bekommt man eine besondere Sichtweise auf das Viertel. Wunderschön der Moment, als er ein Bild von seiner verzauberten Frau vor dem Puppenspiel festhält.  

 'Versunken' würde er dieses Porträt später nennen, auf dem eine junge
Frau zu sehen war, deren Blick in ein Wasser einsank, das Schemen
beherbergte, nicht von dieser Welt. Die Frau jedoch, ohne die geringsten
Anzeichen von Furcht oder auch nur Unruhe, schaute, als wäre sie dort,
mitten unter diesen Schattenwesen, und nicht hier, wo der Blick des
Fotografen sie festgehalten hatte".
Mich hat dieser Roman auf eine Gedankenreise geschickt. Das Großstadtleben mit all seinen Facetten kenne ich nur am Rande und deshalb bin ich dankbar, wenn auf so leise, aber eindringliche Weise Türen für neue Ideen geöffnet werden.


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